
Die Maske kann ausgeschnitten und im öffentlichen Raum getragen werden, um eine automatisierte Gesichtserkennung, wie sie in Überwachungssystemen immer häufiger wird, unmöglich zu machen. Durch die Komposittechnik werden Gemeinsamkeiten hervorgehoben, durchschnittliche Charakteristika treten in den Überblendungen in den Vordergrund. Gesichtserkennungssysteme nutzen aber gerade Abweichungen von der Norm, um die Aufnahmen von Personen ihrem digitalen, biometrischen Spiegelbild zuzuordnen.
Die Komposittechnik wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in England von Francis Galton entwickelt: dem Begründer der eugenischen Forschung und einem Wegbereiter der modernen Personenidentifikation. Als Vorbild dienten die künstlerischen Mehrfachbelichtungen des Fotografen Oscar Gustave Rejlander. Galton versprach sich von der Technik, dem zu dieser Zeit weit verbreiteten Glauben folgend, dass sich Intellekt und Charakter in der Physiognomie widerspiegeln, eine Möglichkeit zur Auswahl und zum Ausschluss von Individuen zu seinen »Forschungszwecken«. Den Wissenschaftlern der Zeit ging es in ihren Vermessungen des Menschen um eine Typologisierung. Unter anderem wurden Komposite zur Beschreibung von kriminellen Veranlagungen, Krankheitsbildern und ethnischer Zugehörigkeit erstellt. So verwundert es auch nicht, dass nicht die ausgleichende Wirkung der Komposite im Zentrum stand – vielmehr wurde versucht, spezifische Gemeinsamkeiten von Gruppen festzustellen und Menschen anhand ihrer äusseren Erscheinung zu klassifizieren.
Zeitgenössische Nutzungen der Komposittechnik finden zumeist den Weg zurück in das Feld der Kunst. Die Ansätze wenden sich jedoch gegen die zweifelhaften Konnotationen aus den Anfangstagen der Technik und betonen die ausgleichende, deindividualisierende Wirkung der fotografischen Überblendungen, oder werfen ironische Blicke auf die Wissenschaftlichkeit des Ansatzes.1
Mit der fortschreitenden Entwicklung fotografisch-biometrischer Techniken, die heute in vielen Identifikationsdokumenten einen Platz gefunden haben und deren Wichtigkeit als staatliches Ordnungs- und Kontrollinstrument zunehmend an Bedeutung gewinnt, erlangt das Thema eine neue Aktualität. Identifikationstechniken rücken immer näher an den Körper des Menschen heran: Sensoren fahren über Fingerkuppen, streifen die Gesichtshaut, scannen die Struktur der Iris. Die Umsetzung der Maske des »Typischen Deutschen« folgt dem Bedürfnis nach informationeller Selbstbestimmung, sie verhindert das Erfassen biometrischer Daten und ist gleichzeitig eine Möglichkeit »Gesicht zu zeigen« gegen die sich ausweitenden staatlichen Kontrollmechanismen.
Autor
Raul Gschrey (*1981, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main) ist Dozent an der FH Frankfurt und arbeitet im Umfeld der Gruppe spez.lab, die sich mit sozial relevanten, künstlerischen Ausstellungen und Symposien in die gesellschaftliche Diskussion einbringt. www.gschrey.org
Fussnoten
1 Für eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung der Komposittechnik in den letzten 150 Jahren: Gschrey, Raul: »Kompositfotografie: Zwischen wissenschaftlicher Evidenzbehauptung und künstlerischer Subversion.« In: Richtmeyer, Ulrich (Hrsg.): Phantom- Gesichter. Zur Sicherheit und Unsicherheit im biometrischen Überwachungsbild. München: Wilhelm Fink, 2011 (In Vorbereitung).